Wie schlimm ist der Online-Handel für den Planeten?

Symbolbild: Einkaufswagen

Wenn wir ehrlich sind, haben wir doch alle zumindest ein bisschen schlechtes Gewissen, online einzukaufen. Die Paketlieferanten verstopfen die Straßen, die Verteilzentren auf der Grünen Wiese zerstören die Landschaft und außerdem ist der Online-Handel schuld an der Verödung der Innenstädte. Das sind die typischen Punkte, die ich in Gesprächen mit den verschiedensten internetaffinen Menschen immer wieder höre, wenn’s um die ökologischen Auswirkungen des Einkaufs im Web geht.

Aber ist der Einkauf bei Amazon oder Zalando wirklich so verheerend, wie es unser schlechtes Gewissen uns weismachen will? Gehen wir einfach mal der Reihe nach die möglichen Probleme des Online-Handels durch.

Behauptung: Der Online-Handel ist am Sterben der innerstädtischen Einzelhändler schuld und trägt so zur Verödung der Städte bei.

Von 2000 bis 2020 ging der Marktanteil des „nicht-filialisierten Fachhandels“ – also das, was wir in den Innenstädten als gewachsene Einzelhändler wahrnehmen – von 31,9 auf 14,3 Prozent zurück. Im gleichen Zeitraum ist der Netto-Umsatz im B2C-E-Commerce von 1,3 Mrd. Euro auf 72,8 Mrd. Euro geradezu explodiert. Angesichts dieser Zahlen erscheint es nur allzu verlockend, hier einen eindeutigen Zusammenhang zu sehen.

Betrachtet man aber die Entwicklung des Marktanteils der Vertriebsform „Online-Handel“, so zeigt sich ein vergleichsweise moderater Anstieg von 0,2 auf 5,9 Prozent. Das ist lediglich ein Drittel des Rückgangs der oben erwähnten Einzelhändler. Ähnlich große Anteile rissen Discounter (+5,3 Prozentpunkte) und Fachmärkte (+4,6 Prozent) an sich.

Noch deutlicher wird die Entwicklung beim Blick auf die Flächenentwicklung im deutschen Einzelhandel. Im von uns betrachteten Zeitraum von 2000 bis 2020 stieg die Verkaufsfläche von 109 Mio. auf 125 Mio. Quadratmeter. Es kann also keine Rede davon sein, dass das Online-Shopping den Einzelhandel kaputt gemacht hat. Ganz offenbar haben die großen Einkaufszentren in den Stadtrandlagen mit ihren enormen Verkaufsflächen dem gewachsenen innerstädtischen Handel zugesetzt – und das ist es, was wir wahrnehmen. Im Jahr 1990 lag die Einzelhandelsverkaufsfläche übrigens bei gerade mal 77 Mio. Quadratmeter, sie ist seither also um mehr als 60 Prozent gewachsen, trotz Online-Handelsboom.

Diese Zahlen sollten deutlich machen, dass die „alteingesessenen“ Einzelhändler nicht vom Online-Handel vertrieben wurden. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass die Hauptkonkurrenz in den Einkaufszentren auf der „grünen Wiese“ zu sehen ist.

Kurz (und sicherlich auch verkürzt) formuliert: Elektro Meier hat nicht wegen Amazon zugesperrt, sondern wegen Mediamarkt draußen im neuen Gewerbegebiet.

Alle Zahlenangaben in diesem Abschnitt aus [1].

Behauptung: Der Online-Handel ist für viel zusätzlichen Verkehr verantwortlich.

Wir alle haben wohl die Bilder vor unserem geistigen Auge: Das gelbe DHL-Fahrzeug steht hinter dem blauen Hermes- und dem roten dpd-Lieferwagen, alle drei mit laufendem Motor und dahinter bildet sich ein Stau von Autos, die an den in zweiter Reihe abgestellten Transportern nicht vorbei kommen.

Tatsächlich verweist das Umweltbundesamt auf eine Untersuchung des Kraftfahrt-Bundesamtes, wonach alleine von 2014 bis 2018 die Anzahl der sogenannten KEP-Lieferungen (KEP = Kurier, Express, Paket) um 28 Prozent gestiegen sei; die von Lieferwagen zurückgelegte Strecke nahm dabei um 21 Prozent zu. Daran ist nicht alleine der Online-Handel schuld, aber er dürfte einen erheblichen Anteil ausmachen.

Da der Großteil der Online-Bestellungen in Ballungsgebieten stattfindet, die sowieso schon unter großem Verkehrsdruck leiden, ist hier jede Verkehrszunahme besonders belastend. Neben dem Klimaproblem der Treibhausgase kommen hier noch die gesundheitskritischen Emissionen an Feinstaub und anderen Schadstoffen wie NOx, SO2 oder CO hinzu.

Unsere Beobachtung, dass der zunehmende Online-Handel mehr Verkehr erzeugt, erscheint also zunächst bestätigt zu werden. Allerdings dürfen wir nicht nur die Zunahme des KEP-Verkehrs betrachten, denn was wir online kaufen, brauchen wir nicht mehr im stationären Laden zu kaufen. Damit entfallen also Einkaufsfahrten, was zu einer Reduzierung des Verkehrsaufkommens führt.

Doch wie sieht die Bilanz der beiden gegensätzlichen Effekte aus? Das Umweltbundesamt (UBA) schreibt dazu:

Die ausgewerteten Studien kommen zum Schluss, dass in der Mehrzahl der Fälle von einer ökologischen Vorteilhaftigkeit (meist in Bezug auf entstehende Treibhausgasemissionen) des Einkaufs im Onlinehandel gegenüber einem Einkauf im stationären Handel ausgegangen werden kann.

Die Ökologisierung des Onlinehandels – Teilbericht I [2]

Konkret verweist das UBA dabei auf verschiedene Studien, die für die Auslieferung eines Pakets eine CO2-Emission von etwa 150 bis 400 Gramm ermittelt haben. Eine Einkaufsfahrt mit dem PKW hingegen verursacht bereits auf 5 Kilometern eine signifikant höhere Belastung. Und selbst Fahrten mit dem ÖPNV liegen eher am oberen Ende der für die Paketlieferung benötigten CO2-Emissionen. Lediglich wer zu Fuß oder mit dem Fahrrad einkaufen kann, spart bei der hier betrachteten letzten Meile Treibhausgase ein.

Was bedeutet das alles für unsere Behauptung? Online-Handel erzeugt ganz offensichtlich zusätzliche Fahrten und sorgt so für eine weitere Belastung im Straßenverkehr in den Innenstädten, mit all den damit zusammenhängenden Problemen. Auf der anderen Seite entfällt der Grund für viele Einkaufsfahrten; Studien, wie sich das aufs Fahrverhalten auswirkt, konnte ich bislang nicht finden.

Wer also bislang auf dem Nachhauseweg von der U-Bahn-Station seine Lebensmittelkäufe erledigt hat, sollte besser nicht auf Online-Shopping umsteigen. Wenn du aber umgekehrt auf eine Einkaufsfahrt mit deinem Diesel-PKW verzichten kannst, hilft ein Online-Einkauf Verkehr zu vermeiden.

Behauptung: Die Logistikzentren zerstören die Landschaft und schädigen durch den Flächenverbrauch die Natur.

Die Studienlage zum Aspekt Flächenverbrauch durch den Online-Handel ist extrem dürftig. Dabei sind die negativen Auswirkungen versiegelter Flächen hinlänglich bekannt: Die für Lager verbaute Fläche kann nicht als Naturraum für Tiere und Pflanzen dienen und die Bodenversiegelung sorgt für schnelleren Wasserabfluss, der sich dann in höheren Hochwasserereignissen niederschlägt.

Doch wie viel Fläche benötigen die Logistikzentren für den Online-Handel? Da mir hierzu keine Zahlen vorliegen, behelfen wir uns mit einer Hochrechnung. Amazon hat in Deutschland einen Anteil von 19 Prozent am gesamten Online-Handel. Über den Amazon Marketplace laufen nochmals 34 Prozent [3], wobei nicht alle Händler im Marketplace die Amazon-Logistik nutzen. Knapp die Hälfte der Amazon-Händler setzen auf „Fulfillment by Amazon“ (FBA), wie eine Untersuchung des Bundesverbands Onlinehandel (BVOH) zeigt. [4] Konservativ geschätzt lässt sich daraus ableiten, dass über Amazons Verteilzentren etwa ein Drittel des deutschen Online-Handels abgewickelt wird.

Dafür betreibt der Handelsriese aus Seattle 17 Logistikzentren in Deutschland. Deren Flächenverbrauch ist nicht bekannt, lässt sich aber wiederum durch Ausmessen der Lagerhallen über Google Maps abschätzen. Demnach benötigt ein durchschnittliches Logistikzentrum etwa 140.000 Quadratmeter, für alle Amazon-Zentren ergäbe sich so ein Flächenverbrauch von ca. 2,5 Mio. Quadratmeter. Wären alle Händler so effektiv wie Amazon, benötigte der gesamte deutsche Online-Handel also ca. 7,5 Mio. Quadratmeter.

Berücksichtigen wir nun, dass alleine die Verkaufsfläche in Einkaufszentren zwischen 2006 und 2020 um 4,1 Mio. Quadratmeter angewachsen ist [1] und ein Quadratmeter Verkaufsfläche locker das Doppelte an Flächenverbrauch für Parkplätze etc. erzeugt, so ist alleine der Zuwachs in den Einkaufszentren der letzen 15 Jahre größer als die Fläche, mit der der gesamte deutsche Online-Handel abgewickelt werden kann.

Interessant ist zum Vergleich auch ein typisches Gewerbegebiet einer Kleinstadt, wie es etwa im niederbayerischen Vilshofen ausgewiesen wurde und das hauptsächlich mit Einzelhandelsbetrieben besiedelt ist. Das Gewerbegebiet Linda II ist 146.000 Quadratmeter groß [5]. Mit gut 50 solcher Gewerbegebiete wären wir bereits wieder bei unserem Online-Logistik-Flächenverbrauch von 7,5 Mio. Quadratmeter.

Der Online-Handel benötigt durchaus erhebliche Flächen für seine Logistik, die keinesfalls zu vernachlässigen sind. Der Vergleich mit den für den stationären Einzelhandel landauf und landab ausgewiesenen Gewerbegebieten macht allerdings deutlich, dass dies viel weniger ist als wir derzeit für den klassischen Handel aufwenden. Zudem benötigen auch die stationären Läden Logistikzentren, die in unserer Betrachtung noch gar nicht einfließen. [6]

Fazit

Ein Blick auf die Fakten zeigt, dass die ökologischen Argumente, die gegen den Online-Handel vorgebracht werden, nicht sonderlich belastbar sind. Die Verödung der Innenstädte begann lange vor dem Online-Boom, dem zusätzlichen Verkehrsaufkommen stehen Verkehrseinsparungen gegenüber und die vor allem für den stationären Einzelhandel ausgewiesenen Gewerbegebiete sind weitaus flächenintensiver als die Logistikzentren der Online-Händler.

Du musst also zunächst mal kein schlechtes Gewissen haben, wenn du online einkaufst. Solltest du aber deine wöchentliche Fahrradtour zum Wochenmarkt durch einen Onlinekauf ersetzen und die dabei gesparte Zeit nutzen, um eine Spritztour mit deinem PKW zu machen, sieht die Bilanz natürlich nicht mehr so gut aus.

Quellen:

[1] https://einzelhandel.de/index.php?option=com_attachments&task=download&id=10611
[2] https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2020_12_03_texte_227-2020_online-handel.pdf
[3] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/831978/umfrage/anteil-von-amazon-am-gesamtumsatz-des-online-handels-in-deutschland/
[4] https://www.dvz.de/rubriken/digitalisierung/e-commerce/detail/news/so-wichtig-ist-amazons-marketplace-und-versandservice-fuer-haendler.html
[5] https://www.vilshofen.de/index.php/bauen-wohnen/gewerbegebiete/linda-ii
[6] https://www.mediamarktsaturn.com/top-stories/mediamarktsaturn-im-bereich-logistik-noch-stärker-aufgestellt